Intensivmedizin: Triage bei Engpässen – FAQ

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Das Dokument «Triage in der Intensivmedizin bei ausserordentlicher Ressourcenknappheit» enthält Hinweise zur Umsetzung des Kapitels 9.3. der medizin-ethischen Richtlinien «Intensivmedizinische Massnahmen» (2013). Als sogenannte «Triage-Richtlinien» hat das Dokument seit der Publikation im März 2020 weit über Fachkreise hinaus Aufmerksamkeit erfahren und mitunter eine breite mediale Berichterstattung ausgelöst. Mit dieser FAQ-Seite bietet die SAMW interessierten Personen Informationen, die dabei helfen, dieses an Fachpersonen gerichtete Dokument auch als Laie zu verstehen.

Die Corona-Pandemie hat vielen Menschen vor Augen geführt, dass auch das Schweizer Gesundheitssystem an seine Kapazitätsgrenzen kommen kann. Die Angst, nicht wie gewohnt jede medizinische Leistung jederzeit zu erhalten, konfrontiert uns mit der Endlichkeit des Lebens. Die Herausgeberinnen des Dokuments, die SAMW und die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI), begrüssen diesen gesellschaftlichen Diskurs und bieten deshalb ergänzend diese FAQ an. Der Fragenkatalog wird laufend aktualisiert. Die aktuelle Version der Umsetzungshinweise zu Triageentscheidungen und weitere relevante Dokumente finden Sie hier.

 

 

Warum hat die SAMW Richtlinien für die Triage auf der Intensivstation veröffentlicht?

Gemäss Statuten hat die SAMW die Aufgabe, ethische Herausforderungen in der Medizin zu erkennen und zu klären. Bereits seit 50 Jahren erarbeitet die SAMW bei Fragen von weitreichender Bedeutung medizin-ethische Richtlinien als Hilfestellungen für die medizinische Praxis. Dabei stützt sie sich auf die Zusammenarbeit mit zahlreichen Fachpersonen aus allen Landesteilen und auf einen mehrstufigen Qualitätssicherungsprozess.

 

Im Jahr 2013 wurden die Richtlinien «Intensivmedizinische Massnahmen» veröffentlicht. Darin findet sich das Kapitel 9.3. «Ressourcenknappheit und Triage». Als sich im Frühjahr 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie ein massiver Zustrom von Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen abzeichnete, gelangte die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) mit der Bitte an die SAMW, gemeinsam Hinweise zur Umsetzung der in Kap. 9.3. genannten Grundsätze zu erarbeiten. Daraus resultierte der als «Triage-Richtlinien» bekannt gewordene Text.

 

 

Seit der Veröffentlichung im März 2020 wurden die Umsetzungshinweise zur Triage auf Intensivstationen mehrfach aktualisiert. Warum gibt es inzwischen eine Version 4?

Im Text ist festgehalten, dass er angepasst wird, wenn die Erfahrungen in der Praxis und neue wissenschaftliche Erkenntnisse dies erfordern. Bereits bei der Erstveröffentlichung im März stiess das Dokument in Fachkreisen und in der Gesellschaft auf grosse Beachtung; die SAMW und SGI erhielten entsprechend viele Reaktionen. Diese wurden geprüft und je nach Dringlichkeit umgesetzt in den Versionen 2 und 3.

 

Nach Veröffentlichung der Version 3 Anfang November 2020 ist deutlich geworden, dass gewisse Passagen, z. B. die Ausführungen betreffend Alter, Behinderung und Demenz und die Anwendung der Gebrechlichkeitsskala («Clinical Frailty Scale») zu knapp formuliert waren, was zu Missverständnissen führte. Ziel des Dokuments ist das Gegenteil: Klarheit schaffen durch schweizweit einheitliche Kriterien. Dies wurde in der Version 3.1 vom Dezember 2020 verdeutlicht. Hauptgrund für die Aktualisierung (Version 4 vom September 2021) ist die veränderte Ausgangslage auf den stark ausgelasteten Intensivstationen.

 

 

Inwiefern war die Ausgangslage auf den Intensivstationen im Herbst 2021 eine andere als während der ersten Wellen der Covid-19-Pandemie?

Anders als während der ersten Wellen benötigten nicht vorwiegend ältere Menschen mit Vorerkrankungen eine intensivmedizinische Behandlung, sondern vermehrt junge, zuvor gesunde Patientinnen und Patienten. Die Version 4 trägt dieser Veränderung Rechnung und fokussiert insgesamt weniger auf Covid-19-Erkrankte. So soll sichergestellt werden, dass bei einer ausserordentlichen Ressourcenknappheit mit den zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst viele Menschenleben gerettet werden können, unabhängig davon, welche Krankheit oder Verletzung zur Einweisung führte.

 

 

Welche Triage-Kriterien gelten für Menschen, die sich nicht an die vom BAG empfohlenen Massnahmen halten, z. B. keine Maske tragen oder sich nicht impfen lassen?

Die Triage-Kriterien gelten für alle Patientinnen und Patienten, die eine Intensivbehandlung benötigen. Die Triage soll ausschliesslich nach medizinischen Kriterien erfolgen und nicht nach solchen weltanschaulicher, religiöser, politischer usw. Natur. Ein wesentliches Merkmal der schweizerischen Demokratie ist, dass alle ihre Meinung frei äussern und ihre Überzeugungen leben dürfen, ohne deswegen diskriminiert zu werden. Genau das wäre aber der Fall, wenn für Menschen, die sich nicht impfen lassen oder andere Schutzmassnahmen ablehnen, andere Triage-Kriterien gelten würden.

 

 

Wer sich nicht gegen Covid-19 impft, nimmt das Risiko einer schweren Infektion in Kauf. Sollte nicht gelten, dass Ungeimpfte bei Ressourcenknappheit keine Intensivbehandlung erhalten?

Der Impfstatus per se ist als Triage-Kriterium ausgeschlossen. Es wäre eine ungerechtfertigte Diskriminierung. Der Respekt vor dem Wert des Lebens jedes einzelnen ist nur dann gleich, wenn keine Unterschiede gemacht werden aufgrund von Meinungen, Entscheidungen oder Handlungen des Einzelnen. Manche sind Opfer von Fehlinformationen, andere leben unter Umständen, die ihnen den Zugang zur Impfung erschweren. Eine Benachteiligung der Ungeimpften wäre auch ungerecht, da ihre Wahl im Einklang steht mit der demokratisch gestützten Entscheidung gegen ein Impfobligatorium.

 

Um in der Covid-19-Pandemie Engpässe auf den Intensivstationen zu vermeiden, spielt die Impfung jedoch eine sehr wichtige Rolle, da sie einen wirksamen Schutz bietet vor einem schweren Krankheitsverlauf. Die SAMW und die SGI empfehlen die Impfung allen, die sich impfen lassen können.

 

 

Warum sind Triage-Entscheidungen auf Intensivstationen überhaupt nötig?

Wenn sehr viele Menschen mit dem Coronavirus infiziert sind, steigt auch die Anzahl von Betroffenen mit schweren Formen einer Covid-19-Erkrankung, von denen wiederum viele eine Intensivtherapie benötigen. In einem ersten Schritt werden für die Bereitstellung der notwendigen überlebenswichtigen Therapien zusätzliche Ressourcen geschaffen. Dazu gehören die Erhöhung der Anzahl an Intensivplätzen (unter Inkaufnahme einer reduzierten Behandlungsqualität), die Einstellung nicht dringlicher Behandlungen und die Verlegung von Patientinnen und Patienten in weniger ausgelastete Intensivstationen anderer Spitäler.

 

Wenn es trotz Ausschöpfung all dieser Massnahmen zu Engpässen kommt, müssen Priorisierungsentscheidungen getroffen werden. Diese Situation ist für das medizinische Personal sehr belastend. Triageentscheidungen sind aber nichts Neues in der Medizin, so müssen z. B. Fachpersonen der Notfallmedizin bei einem Unfall mit sehr vielen Verletzten auch entscheiden, wer zuerst versorgt wird.

 

 

Was bedeutet eigentlich «Triage»?

Der Begriff stammt vom französischen Verb «trier», was soviel wie «sortieren» oder «auslesen» bedeutet. Im medizinischen Kontext tauchte der Begriff ursprünglich im Bereich der Kriegs- und Katastrophenmedizin auf, weil medizinische Kapazitäten in kriegerischen Auseinandersetzungen und bei Katastrophen regelmässig an ihre Grenzen kamen. Triage meint das Vorgehen zur Priorisierung medizinischer Massnahmen, wenn die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen, um alle Patientinnen und Patienten, die eine dringende Behandlung brauchen, angemessen zu versorgen.  

 

 

Nach welchen Kriterien wird entschieden, wer eine Intensivbehandlung bekommt und wer nicht?

Das oberste Ziel ist, möglichst viele Menschenleben zu retten. Eine zentrale Rolle spielt dabei die kurzfristige Überlebensprognose aller Patientinnen und Patienten, die eine Intensivtherapie benötigen. Bei allen wird der erwartete Nutzen der Intensivtherapie mit dem möglichen Schaden in Relation gesetzt. Patientinnen und Patienten, bei denen die Wahrscheinlichkeit am kleinsten ist, die Intensivtherapie (ohne grössere Schäden) zu überleben, werden im Fall der Knappheit nicht auf der Intensivstation behandelt.

 

 

Die kurzfristige Überlebensprognose ist das übergeordnete Triagekriterium. Welche anderen Kriterien gibt es?

Das Dokument richtet sich an Fachpersonen und führt zahlreiche medizinische Kriterien auf, die ihnen helfen, die kurzfristige Überlebensprognose abzuschätzen. Diese Kriterien sind eine Hilfestellung, aber keine starre Checkliste. Für die Triageentscheidungen spielen immer auch die Erfahrung der Fachpersonen und die Beurteilung im Einzelfall eine Rolle. Wenn z. B. mehr Patienten mit guter Überlebensprognose eine Intensivbehandlung benötigen als Ressourcen vorhanden sind, wird bei der Entscheidung auch der mit der intensivmedizinischen Behandlung verbundene erwartete Aufwand mitberücksichtigt. Es werden also diejenigen Patienten nicht auf der Intensivstation behandelt, die erwartungsgemäss noch längere Zeit viele Ressourcen binden würden, um die erwartete Überlebensprognose zu erreichen.

 

 

Es wird explizit empfohlen, dass bei Triageentscheidungen der erwartete Aufwand der Intensivbehandlung mitberücksichtigt wird. Bedeutet dies, dass Covid-Patienten mit schweren Verläufen gar nicht auf die Intensivstation aufgenommen werden?

Auf die Intensivstation aufgenommen werden bei Knappheit prioritär alle Personen, die mit einer Intensivtherapie eine gute Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Insbesondere jüngere, zuvor gesunde Covid-Patienten haben auch bei schwerstem Krankheitsbild oft eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit. In Moment der Aufnahme ist noch nicht feststellbar, wer zu jener Patientengruppe gehört, die eine sehr langwierige Behandlung braucht. Das heisst, die Therapie wird vollumfänglich gestartet, in regelmässigen Abständen der Verlauf geprüft und neu beurteilt. Wenn sich eine sehr komplexe, langwierige Therapie abzeichnet und Ressourcenknappheit besteht, dann muss im ungünstigsten Fall eine Umstellung auf eine palliative Behandlung erfolgen, die ausserhalb der Intensivstation weitergeführt wird, um Platz zu schaffen für Personen, die gemäss den Triage-Kriterien die Behandlung benötigen.

 

 

Was ist der Unterschied zu normalen Zeiten, in denen Ärztinnen und Ärzte doch auch täglich entscheiden, dass eine Person nicht auf die Intensivstation aufgenommen wird, weil die Prognose zu schlecht ist?

Es ist richtig, dass die Fachpersonen der Intensivmedizin auch in Situationen ohne Ressourcenknappheit bei schwerstkranken Personen immer wieder zur Entscheidung kommen, keine Intensivtherapie durchzuführen. Dabei handelt es sich aber nicht um Triage, sondern um Entscheide gegen eine Intensivtherapie, weil sie medizinisch nicht indiziert ist, also dem Patienten keinen medizinisch relevanten Vorteil bringt oder ihm sogar schadet. Es ist eine ärztliche Pflicht, solche Behandlungen nicht durchzuführen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie die Patientinnen und Patienten sonst Belastungen aussetzen, ohne Aussicht auf einen therapeutischen Nutzen.

 

Bei der Triage hingegen geht es darum, dass Therapien, die medizinisch angezeigt und vom Patienten auch gewünscht sind, nicht allen angeboten werden können. Dies ist eine sehr belastende Situation für alle Beteiligten. In dieser Situation der Ressourcenknappheit geht es darum, die Entscheide möglichst fair zu fällen. Dazu dienen die SAMW-Richtlinien von 2013 und die detaillierten Umsetzungshinweise für die Covid-Situation.

 

 

Ab welchem Zeitpunkt müssen Triageentscheidungen gefällt werden?

Die Entscheidung, ab wann ein Spital mit der Triage beginnt, liegt beim jeweiligen Spital und seiner Intensivstation. Triage darf nur angewendet werden, wenn andere Massnahmen wie die Reduktion nicht dringlicher Behandlungen und die Verlegung auf Intensivstationen mit freien Kapazitäten nicht ausreichen, um die Ressourcenknappheit abzuwenden. Einen gesamtschweizerischen Überblick hat die nationale Koordinationsstelle, die mit den Spitälern in regelmässigem Austausch steht. Dadurch kann möglichst lange sichergestellt werden, dass die Spitäler sich gegenseitig aushelfen, bevor in einzelnen Landesteilen Triageentscheidungen gefällt werden.

 

 

Welche Rolle spielt die Patientenverfügung bei der Triage?

Patientenverfügungen sind generell ein wichtiges Instrument, um den Willen einer Person zu kennen, wenn diese urteilsunfähig ist. Im Falle der Urteilsunfähigkeit – z.B. bei Bewusstlosigkeit oder schwerer Demenz – kann die betroffene Person nicht mehr danach gefragt werden, welche medizinischen Massnahmen sie wünscht oder ablehnt. Auch im Falle einer Ressourcenknappheit auf Intensivstationen ist es sehr wichtig, den Willen von Patientinnen und Patienten zu kennen: Ressourcen dürfen nie für Behandlungen eingesetzt werden, die eine Person gar nicht in Anspruch nehmen will.

 

Die Patientenverfügung ist also ein möglicher Weg, den Willen festzuhalten – für oder gegen eine bestimmte medizinische Behandlung. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Thematik mit den nächsten Angehörigen zu besprechen.

 

 

Was ist mit dem Vorwurf, dass die Triage-Kriterien ältere und alte Menschen diskriminieren?

Gemäss Duden bedeutet «diskriminieren»: durch unterschiedliche Behandlung benachteiligen. Die Triage-Kriterien beabsichtigen genau das Gegenteil: Wenn die zur Verfügung stehenden Ressourcen zu knapp sind, um allen die notwendige Behandlung zu gewährleisten, sollen die Ressourcen diskriminierungsfrei verteilt werden. Die Richtlinien von 2013 und die zusätzlich erarbeiteten Umsetzungshinweise geben den Fachpersonen schweizweit einheitliche Kriterien für Triageentscheidungen, die eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund von Alter, Geschlecht, Wohnort, Nationalität etc. explizit verbieten.

 

Das Alter per se ist (wie auch eine Behinderung oder eine Demenz) also kein Kriterium, das bei der Triage berücksichtigt werden darf. Dies wäre ein Verstoss gegen das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot. Für die Nicht-Aufnahme auf die Intensivstation müssen spezifische Risikofaktoren für eine unmittelbar stark erhöhte Sterblichkeit trotz Intensivtherapie gegeben sein. Ein hohes Alter allein ist kein Indiz für eine schlechte kurzfristige Überlebensprognose. Es kommt auf den Gesundheitszustand insgesamt an, sowohl vor Auftreten der aktuellen Erkrankung oder Krise als auch im Moment der Entscheidfindung für oder gegen eine Intensivtherapie.

 

Ein wichtiges Indiz für erhöhte Sterblichkeit ist die altersbedingte Gebrechlichkeit: Je gebrechlicher eine ältere Person ist, desto eher ist davon auszugehen, dass ihr eine Intensivtherapie potenziell mehr schadet als nützt. Unter den verschiedenen Instrumenten, die zur Bewertung der altersbedingten Gebrechlichkeit dienen, ist die Klinische Fragilitätsskala (Gebrechlichkeitsskala) diejenige mit den umfassendsten Erfahrungswerten. Da die Anwendung dieser Skala nur bei über 65-jährigen Personen verifiziert ist, finden sich im Dokument überall dort, wo auf die Gebrechlichkeitsskala Bezug genommen wird, entsprechende Altersangaben.

 

 

Wieso werden mit 65, 75 und 85 Jahren konkrete Altersangaben genannt?

Damit Fachpersonen in der Triagesituation beurteilen können, welche Personen auch mit Intensivtherapie keine gute kurzfristige Überlebenschance haben, müssen sie viele Kriterien berücksichtigen. Neben Faktoren wie fortgeschrittene Krebserkrankungen oder grossflächige Verbrennungen – um zwei konkrete Beispiele zu nennen – ist die Gebrechlichkeit der Person vor Auftreten des schweren Krankheitsverlaufs mitentscheidend.

 

Die verwendete Gebrechlichkeitsskala wurde für Menschen ab 65 Jahren entwickelt und validiert; für jüngere Menschen ist sie nicht vorgesehen. Deshalb wird in Kombination mit der Gebrechlichkeitsskala mindestens die Altersangabe 65 erwähnt. Die weiteren genannten Altersangaben von 75 und 85 Jahren tragen dazu bei, ältere Menschen vor Altersdiskriminierung zu schützen, indem sie den Ärztinnen und Ärzten für die Einzelfallenscheidung der geschätzten kurzfristigen Überlebensprognose Anhaltspunkte geben. So weisen sie darauf hin, dass eine weniger ausgeprägte Gebrechlichkeit (tieferer Wert auf der Skala) in der Regel erst in Kombination mit einem hohen bzw. sehr hohen Alter für Triageentscheidungen relevant ist.

 

 

Warum wird auf die Gebrechlichkeitsskala nach Rockwood verwiesen, obwohl diese Skala kritisiert wird?

Es gibt verschiedene Skalen und jede hat ihre Vor- und Nachteile. Die Gebrechlichkeitsskala (CFS) nach Rockwood, deren Anwendung von der SAMW und SGI empfohlen wird, ist im geriatrischen Bereich bestens etabliert und nach aktuellem Kenntnisstand für an Covid-19 erkrankten Personen über 65 Jahren die am besten validierte. Entsprechende Literatur ist im Dokument zitiert.

 

 

Was ist mit dem Vorwurf, dass die Triage-Kriterien Menschen mit Behinderungen diskriminieren?

Eine Behinderung ist kein Faktor, der für die Beurteilung der medizinischen Prognose herangezogen werden darf. Vielmehr ist der Gesundheitszustand bei allen Personen auf die gleiche Weise festzustellen, unabhängig von allfälligen Behinderungen. Jedes andere Vorgehen wäre eine diskriminierende Handlung und daher abzulehnen. Die erwähnte Gebrechlichkeitsskala ist für die Einschätzung der Gebrechlichkeit von Menschen mit Behinderungen nicht validiert und daher irrelevant. Das wird im Text explizit festgehalten.

 

 

Was ist mit dem Vorwurf, dass die Triage-Kriterien Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen diskriminieren?

Das Grundrecht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung verlangt, dass jederzeit auf die tatsächlichen Überlebenschancen abgestellt wird. Die Liste der Krankheiten dient lediglich als Hilfestellung für die faire Entscheidfindung. Eine Person mit einer auf dieser Liste aufgeführten Krankheit im Falle der Ressourcenknappheit automatisch abzuweisen, wäre ebenso problematisch wie die unbesehene Aufnahme einer Person mit einer nicht in der Liste aufgeführten schweren Erkrankung mit schlechter kurzfristiger Überlebensprognose.

 

 

Der Einsatz von extrakorporaler Membranoxygenierung (ECMO) wird sehr zurückhaltend empfohlen. Ist ECMO bei Covid-19-Betroffenen verboten?

Der Einsatz der extrakorporalen Membranoxygenierung ist nicht verboten. ECMO hat einen Platz in der Behandlung von Personen mit schwerer SARS-CoV-2-Pneumonie, wie die aktuelle Literatur zeigt. Seit dem Frühjahr 2021 wird auch in der Schweiz die ECMO-Therapie für Covid-Erkrankte vermehrt eingesetzt, was vor allem auf das sinkende Durchschnittsalter der auf die Intensivstationen aufgenommenen Covid-19-Patientinnen und -Patienten zurückzuführen ist. Der mögliche medizinische Nutzen einer ECMO-Therapie muss jedoch immer genau abgewogen werden. Eine ECMO-Therapie erfordert erhebliche Ressourcen, nicht zuletzt Personalressourcen. In einer Situation knapper Ressourcen ist der Einsatz von ECMO deshalb spezifisch ausgewählten Patientinnen und Patienten vorbehalten, wie dies im Text beschrieben wird.

 

 

Welche Vorteile haben von der SAMW und einer Fachgesellschaft herausgegebene Richtlinien gegenüber einer gesetzlichen Regelung durch den Bund?

Der Vorteil besteht darin, dass Richtlinien und Empfehlungen in Bereichen, die vom Gesetz überhaupt nicht oder nur sehr allgemein geregelt sind, mit konkreten Vorgaben zu einer vorhersehbaren und rechtsgleichen Praxis beitragen. Zudem können Institutionen wie die SAMW und SGI rascher auf veränderte Umstände reagieren und ihre Empfehlungen entsprechend anpassen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Richtlinien keine Gesetzeskraft zukommt. Von verschiedenen Seiten wird gefordert, den Triageprozess und seine Grundlagen – nicht zuletzt aufgrund der grundrechtlichen Relevanz – in einem demokratisch abgestützten Gesetz zu regeln.

 

 

Es gibt auch Triage-Situationen ausserhalb der Intensivstationen. Wieso gibt es dazu keine Empfehlungen?

Triage-Situationen gibt es nicht nur während einer Pandemie, sondern sie gehören zum medizinischen Alltag. So müssen z. B. Fachpersonen der Notfallmedizin bei einem Unfall mit sehr vielen Verletzten auch entscheiden, wer zuerst versorgt wird.

 

Die von der SAMW und der SGI erarbeiteten Dokumente gelten nur für die Triage bei Engpässen auf Intensivstationen. Eine Ausweitung dieser Triage-Kriterien auf Behandlungsmassnahmen ausserhalb der Intensivmedizin, etwa auf die Frage, ob jemand vom Pflegeheim in ein Spital verlegt wird, ist unzulässig. Solche Empfehlungen müssten mit den entsprechenden Fachgesellschaften – z. B. Geriatrie oder Palliative Care – erarbeitet werden. Für die Triage ausserhalb des Spitals angesichts der Covid-19-Pandemie haben andere Fachgesellschaften Empfehlungen veröffentlicht. Ein Beispiel sind die Empfehlungen der Schweiz. Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin.

 

 

 

KONTAKT

lic. theol., Dipl.-Biol. Sibylle Ackermann
Leiterin Ressort Ethik
Tel. +41 31 306 92 73