Zwangsmassnahmen in der Medizin

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Als Zwang gilt jede Massnahme, die gegen den selbstbestimmten Willen oder den Widerstand eines Patienten oder einer Patientin durchgeführt wird. In der medizinischen Praxis kann Zwang eine Vielfalt von Erscheinungsformen annehmen, deren ethische und rechtliche Bewertung von «geboten» bis «völlig inakzeptabel» variiert.

Die medizinische Ethik hat in den letzten Jahrzehnten die Autonomie von Patientinnen und Patienten ins Zentrum gestellt, was breite Anerkennung findet. Gleichwohl kann zwischen Entscheidungen der betroffenen Person einerseits und medizinisch indizierten Massnahmen andererseits eine Diskrepanz bestehen. In einer Notfallsituation – etwa bei einem schweren Erregungszustand oder einem postoperativen Delir – und bei (vorübergehender) Urteilsunfähigkeit der erkrankten Person stellt sich rasch die Frage nach dem Einsatz von Zwangsmassnahmen.

 

Wie ist in solchen Situationen die Patientenautonomie umzusetzen? Wann dürfen – wann müssen – dringende medizinische Massnahmen durchgeführt werden, obwohl die betroffene Person ihnen nicht zustimmt oder sich sogar aktiv dagegen wehrt? Die von der SAMW im Jahr 2015 veröffentlichten Richtlinien «Zwangsmassnahmen in der Medizin» stellen einen Rahmen zur Verfügung, um Fragen in diesem Spannungsfeld beantworten zu können.

 

In der Zeitschrift Primary and Hospital Care wird der Inhalt der Richtlinien anhand eines Praxisbeispiels konkretisiert.

 

Weitere Fallbeispiele zu anderen medizin-ethischen Richtlinien finden Sie hier.

 

 

Revision der Richtlinien

Die aktuell in Kraft stehenden Richtlinien «Zwangsmassnahmen in der Medizin» (2015) sind mit Blick auf neuere medizin-ethische und rechtliche Entwicklungen überarbeitungsbedürftig. Die in den letzten Jahren bei der SAMW und der Zentrale Ethikkommission (ZEK) eingegangenen Kommentare und Anfragen zum Thema weisen auf praxisrelevante Aspekte hin, die medizin-ethisch reflektiert werden müssen. Zu diesem Zweck hat die ZEK eine interprofessionell und interdisziplinär breit zusammengesetzte Subkommission eingesetzt.

 

Die von der Schweiz 2014 ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention führte in den letzten Jahren zu intensiven fachlichen und öffentlichen Debatten, auch über medizinische Zwangsmassnahmen. Im Mittelpunkt steht dabei die Forderung der Konvention, bei Menschen mit Behinderungen das Prinzip «Substitution» (etwa via Beistandschaft) soweit wie irgend möglich abzulösen durch das Prinzip «Assistenz». Die Subkommission wird diese Diskussion bei der Überarbeitung der Richtlinien ebenso berücksichtigen wie die aktuell beim Gesetzgeber anstehenden Anpassungen des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts (KESR).

 

 

Ziel und Vorgehen

Die Anwendung von Zwang in der Medizin wirft nicht nur medizin-ethische Fragen für medizinische Fachpersonen auf, sondern hat gravierende Auswirkungen auf betroffene Patientinnen und Patienten sowie auf deren Angehörige. Um die ethischen Herausforderungen in diesem Bereich umfassend zu reflektieren, muss der Perspektive von Betroffenen während und nach medizinischen Zwangsmassnahmen Gewicht verliehen werden. Zu diesem Zweck werden unterschiedliche Betroffenenorganisationen in die Arbeit der Subkommission einbezogen und nicht eine einzelne Vertretungsperson für Patienten oder Angehörige, wie dies sonst für Subkommissionen der ZEK üblich ist.

 

Mithilfe der Richtlinien soll ein Bewusstsein dafür geschaffen und aufrechterhalten werden, dass jede Zwangsmassnahme einen gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt und daher einer ethischen Rechtfertigung bedarf. Die Befolgung prozeduraler Vorgaben allein stellt keinen Rechtfertigungsgrund dar für die Anwendung von Zwangsmassnahmen. Eine sorgfältige ethische Reflexion ist in jedem Fall genauso unerlässlich wie eine genaue Beachtung der rechtlichen Bestimmungen und geltenden Richtlinien.

 

Die Subkommission arbeitet seit Dezember 2023 an dieser Richtlinienrevision. Der etablierte Prozess zur Ausarbeitung bzw. Überarbeitung von SAMW-Richtlinien ist im folgenden Dokument beschrieben:

 

Zusammensetzung der Subkommission

Prof. em. Dr. med. Dr. phil. Paul Hoff, Zollikon, Vorsitz, Psychiatrie und Psychotherapie

Beat Baumgartner, Spiez, Rettungssanität

Dr. med. Gabriela Bieri-Brüning, Zürich, Geriatrie/Stationäre Langzeitpflege

Susanne Brauer, PhD, Zürich, Ethik

Dr. rer. cur. Christian Markus Burr, Bern, Psychiatrische Pflege/Forschung

Dr. med. Marianne Caflisch, Genève, Pädiatrie

Anne Fishman-Bosc, MSc, Payerne, Pflege/Intensivmedizin

Dr. rer. medic. Martin Fröhlich, Aarau, Intensivmedizin

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Thomas Geiser, St. Gallen, Recht

Dr. sc. med. Manya Hendriks, SAMW (ex officio), Ethik

Prof. Dr. med. Stefan Klöppel, Bern, Alterspsychiatrie

Marcel Koch, Wittenbach, Heilpädagogik

Dr. med. Patrick Köck, Bern, Kinder- und Jugendpsychiatrie

Dr. med. Stéphane Morandi, Lausanne, Psychiatrie und Psychotherapie/Psychiatrie und Psychotherapie bei Sucht

Dr. phil. Simone Romagnoli, Genève, Ethik/Pflegeheime

Bianca Schaffert-Witvliet, Schlieren, ANP Medizin, Langzeitpflege

Prof. Dr. med. Manuel Trachsel, Basel, Ethik/Psychiatrie

lic. iur. Judith Wyder, Bern, Vertretung Bund, Recht (Beisitz)

Ursina Zehnder, Zürich, Spitex/Psychiatrie

 

 

 

KONTAKT

Dr. Manya Hendriks
Projektverantwortliche Ethik
Tel. +41 31 306 92 77